Matthias Müller – While You Were Out

Opening 14 October 2016 6 - 9 pm

Photographic Works and Video

In Matthias Müller's extensive new group of works consisting of photographic works, a multiple and a video, the artist makes use of an archive of 1,500 screenshots. The images come from streams emanating from private chat rooms of the Web 2.0.

In the video loop ‘Air,’ the “low” provenance and trivial motifs of the visual material stand in contrast to the sublimity of a piece by Johann Sebastian Bach as an elaborate expression of high culture. But just as the images of the empty spaces do not show the presence of any persons, so has the musical composition been partly stripped of its melodic upper voice: The minimalistic bass line seems like an etude with multiple variations of a simple musical motif. The title ‘Air’ alludes to the mode of Internet users whose images provide the visual material of the video: They are broadcasting, are “on air.” At the same time, the title refers to the effects of air currents we are observing; it sometimes seems as if an analogue breeze is stirring up the digital clusters and artifacts of the webcam images.

With his treatment of visual material from the Web 2.0, Müller focuses on a part of moving picture production that differs in various ways from the filmic genres which up to now have been central to his individual works and joint projects with Christoph Girardet. This extensive sector does not consist of professional productions but is the work of amateurs. The recordings made here are not introduced into a new narrative sequence with the help of montage but develop in real time with no external intervention. They have a fleeting character and are normally not preserved. Most of the time, these images involve only one figure who produces them and is simultaneously their subject. Matthias Müller is interested in the moments when the protagonists have departed from the scene. As spaces that are simultaneously private and public, chat rooms have lost the domestic space's fundamental function of protecting intimacy and turned into virtual contact zones for exhibitionists and voyeurs instead. In Müller's treatments, they are freed of their subservient function as backdrops for performances. With his studies of presence and absence, the artist is continuing his investigation and representation of spaces which, in his various filmic and photographic works, evolve into autonomous, evocative spheres of contemplation and experience, are transformed into stages and projection surfaces for emotional and psychological states and processes.

Matthias Müller (*1961) numbers among the most renowned experimental filmmakers. His films have been invited to the festivals at Cannes, Venice, Berlin, Toronto and Locarno, among others. He has had film retrospectives at such institutions as the Museum of Modern Art, New York; Center for the Arts, San Francisco; Nederlands Filmmuseum, Amsterdam; Walker Art Center, Minneapolis; and Image Forum, Tokyo. Numbering among the prizes and awards he has received are the Prix Canal + du meilleur court métrage, Cannes; Preis der Deutschen Filmkritik; Deutscher Kurzfilmpreis; Preis des Verbandes der Deutschen Kritiker; American Federation of Arts Experimental Film Award; and various prizes at the Kurzfilmtage Oberhausen (including the Principal Prize in 1999). Matthias Müller has had solo exhibitions at such institutions as the Tate Modern, London; Neuer Berliner Kunstverein; Sprengel Museum, Hannover; Fotomuseum Winterthur; and Timothy Taylor Gallery, London. Among the numerous group exhibitions he has participated in are the Manifesta 3 in Ljubljana as well as exhibitions at the Migros Museum, Zurich; Hayward Gallery, London; MCA Chicago; Hangar Bicocca, Milan; Palais de Tokyo, Paris; and Haus der Kunst, Munich. In addition to creating his own individual works, he has collaborated since 1999 with the artist Christoph Girardet on a joint oeuvre. Works by Matthias Müller are to be found, among other places, in the collections of the Centre Georges Pompidou, Paris, Sammlung Goetz, Munich; Sammlung Isabelle & Jean-Conrad Lemaître, London; Tate Modern, London. Since 2003, Müller has been a professor for experimental film at the Kunsthochschule für Medien, Cologne.

Matthias Müller – While You Were Out

Fotoarbeiten und Video

14. Okt. - 3. Dez. 2016

In Matthias Müllers umfangreicher neuer Werkgruppe aus Fotoarbeiten, einem Multiple und einem Video arbeitet der Künstler mit einem Archiv von 1.500 Screenshots. Die Bilder entstammen den Streams aus privaten Chat Rooms des Web 2.0.

Im Stil einer wissenschaftlichen Schautafel ordnet Müller in der Fotoarbeit „While You Were Out“ unzählige Bürostühle nach Form und Farbe. Auch in „Waiting Rooms“, einem Fries aus 28 einzelnen Prints, überführt Müller Interieurs in eine serielle Reihung, wobei er mit quasi filmischen Anschlüssen den Eindruck von Zusammengehörigkeit generiert. Die Selektion, Bearbeitung und Komposition seiner Bilder lässt ein Konzentrat der Realität entstehen, das in den Zufälligkeiten der Erscheinungen eine nahezu harmonische Ordnung sichtbar werden lässt. In leichte Unschärfen gelegt durch die low fi-Auflösung der Consumer-Webcams und als Standbilder in Inkjet-Prints transformiert und damit in die Sphäre des Analogen zurückgeführt – erlangen Müllers Räume eine malerische Qualität. Krakelee-artige digitale Artefakte evozieren den Eindruck von Haarrissen in der Firnis von Gemälden und auch die Wahl der Bildmotive erinnert an Sujets und Darstellungsformen der Malerei – seien es die delikaten Lichtstimmungen der Räume Vermeers oder die melancholischen Interieurs des Symbolisten Hammershøi.

Der „niederen“ Herkunft und den trivialen Motiven des visuellen Materials steht – als elaboriertem Artefakt der Hochkultur – im Video-Loop „Air“ die Erhabenheit eines Johann-Sebastian-Bach-Stücks gegenüber. Doch wie die Bilder der leeren Räume den Anblick des Menschen vorenthalten, wurde die Komposition zum Teil ihrer melodischen Oberstimme entkleidet: Die minimalistische Basslinie wirkt mit ihrer vielfachen Variation eines einfachen musikalischen Motivs wie eine Etude. Der Titel „Air“ spielt auf den Modus der Internet-User an, deren Bildern das Video sein visuelles Material verdankt: Sie senden, sind „on air“. Gleichzeitig bezieht er sich auf die Effekte von Luftbewegungen, die wir beobachten – zuweilen scheint es, als sei es ein solch analoger Windhauch, der die digitalen Cluster und Artefakte der Webcam-Bilder durcheinanderwirbelt.

Mit seinen Bearbeitungen von Bildmaterial aus dem Web 2.0 wendet sich Müller einem Teil der Bewegtbild-Produktion zu, der sich in verschiedener Hinsicht von denjenigen filmischen Gattungen unterscheidet, die im Zentrum seiner bisherigen Einzelarbeiten und Gemeinschaftsprojekte mit Christoph Girardet standen. Dieser große Sektor ist nicht Teil der professionellen Produktion, sondern wird von Amateuren bestimmt; die hier entstehenden Aufnahmen werden nicht mithilfe von Montage in eine neue narrative Abfolge gebracht, sondern entwickeln sich unbearbeitet in Echtzeit. Ihr Charakter ist ein flüchtiger; sie werden gewöhnlich nicht aufgezeichnet. Meist steht nur eine Figur im Zentrum dieser Bilder, die diese produziert und gleichzeitig deren Gegenstand ist. Matthias Müller interessiert sich für jene Momente, in denen die Akteure die Szene verlassen haben. Chat Rooms haben als gleichzeitig private wie öffentliche Räume die Funktion, Intimität zu schützen abgelegt, um zu virtuellen Kontakthöfen von Exhibitionisten und Voyeuren zu werden. In Müllers Bearbeitungen werden sie von ihrer dienenden Funktion als Szenenbilder der Performance befreit. Mit seinen

Studien von Anwesenheit und Abwesenheit setzt der Künstler seine Erforschung und Darstellung von Räumen fort, die diese in verschiedenen seiner filmischen und fotografischen Arbeiten zu autonomen, suggestiven Anschauungs- und Erfahrungssphären hat werden lassen, zu Bühnen und Projektionsflächen von emotionalen wie psychischen Zuständen und Prozessen.

Matthias Müller (*1961) zählt zu den angesehensten experimentellen Filmemachern. Seine Filme waren u.a. auf die Festivals von Cannes, Venedig, Berlin, Toronto und Locarno eingeladen. Er hatte Werkschauen u.a. im Museum of Modern Art, New York, im Center for the Arts, San Francisco, im Nederlands Filmmuseum, Amsterdam, im Walker Art Center, Minneapolis, und im Image Forum, Tokio. Zu seinen Preisen u. Auszeichnungen zählen der Prix Canal + du meilleur court métrage, Cannes, der Preis der Deutschen Filmkritik, der Deutsche Kurzfilmpreis, der Preis des Verbandes der Deutschen Kritiker, der American

Federation of Arts Experimental Film Award und verschiedene Preise bei den Kurzfilmtagen Oberhausen (der Hauptpreis 1999). Einzelausstellungen hatte Matthias Müller u.a. in der Tate Modern, London, dem Neuen Berliner Kunstverein, dem Sprengel Museum, Hannover, dem Fotomuseum Winterthur und der Timothy Taylor Gallery, London. Zu seinen zahlreichen Gruppenausstellungen zählen die Manifesta 3 in Ljubljana sowie Ausstellungen im Migros Museum, Zürich, der Hayward Gallery, London, dem MCA Chicago, dem Hangar Bicocca, Mailand, dem Palais de Tokyo, Paris, und dem Haus der Kunst, München. Neben seinen

Einzelarbeiten ist seit 1999 ein gemeinsames Werk mit dem Künstler Christoph Girardet entstanden. Arbeiten von Matthias Müller befinden sich u.a. in den Sammlungen des Centre Pompidou, Paris, der Sammlung Goetz, München, der Sammlung Isabelle & Jean-Conrad Lemaître, Paris, und von Tate Modern, London. Seit 2003 lehrt Müller als Professor für experimentellen Film an der Kunsthochschule für Medien, Köln.